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FarbGeschichten 2023

Ursula Angelmaier, Kunsthistorikerin

Die Einladungskarte hat Sie schon ein wenig vorbereitet, auf das, was Sie in der Ausstellung erwartet. Und inzwischen konnten Sie weitere Eindrücke gewinnen, die ihre bisherige Vorstellung bestätigt, erweitert oder auch völlig verändert hat. Worum geht es in der Kunst Veronica Solzins?

Im Falle des Werkes auf der Einladungskarte mit dem Titel „unberührt“, das Sie ... hier in voller Größe bewundern können, geht es eindeutig um eine Landschaft. Flusslandschaft oder Meeresbucht? Jedenfalls handelt es sich um ein Gewässer, das sich zwischen felsigen Küsten bis weit in die Tiefe erstreckt und am Horizont sogar Schnee bedeckte Berge erahnen lässt. Es ist eine entlegene, unberührte Landschaft, die ganz ohne Menschen auskommt. Ein Stück Welt, das einem allein gehört. Wer würde nicht gerne einmal, wenigstens für kurze Zeit, dort ausspannen. Die Künstlerin hat uns sogar einen Weg hinein gebahnt, damit wir das Felsenstück, das sich im Vordergrund querlegt, nicht überklettern müssen.

Doch bevor Sie sich zu sehr in der Landschaft verlieren, sollten Sie innehalten und sich klar machen, dass das, was Sie bewundern, eigentlich nicht die Landschaft ist, sondern die Malerei. Denn das was die Kunst Veronica Solzins ausmacht, hängt nicht an dem was sie malt, in dem Sinn, dass sie sich morgens vornimmt, eine Küstenlandschaft zu malen - oder Felsenpaläste, die sich im Wasser spiegeln... - oder riesige Steinmauern ... Bevor eventuell ein Gegenstand auf ihren Bildern auftaucht, oder irgendetwas, was wir dafür halten, hat sie einen langen Weg zurück gelegt.

Am Anfang dieses Weges kann ein kleiner Impuls stehen, der vielleicht von einer Farbe ausgeht. Ein bestimmter Farbton, der inszeniert werden möchte, auf der Leinwand auftreten möchte wie auf einer Bühne. Dazu muss er verschiedene Rollen einnehmen. Er kann dünn und durchsichtig werden, aber auch mal dick auftragen. Er kann sich ausdehnen und dabei andere Artgenossen aufnehmen, sich mit ihnen paaren, sodass er selbst nur noch schwach zu erkennen ist, oder er kann ganz verschwinden, um einer anderen Farbe Platz zu machen, die ihren eigenen Auftritt will.

Diese unglaublich mobilen Farben müssen noch genauer definiert werden. Natürlich werden sie nicht einfach aus der Tube gedrückt, sie sind meist nicht aus Acryl, sondern aus der Natur, und müssen manchmal recht aufwendig hergestellt werden, bevor die eigentliche Arbeit beginnt. Doch das eigentlich Faszinierende an Solzins Farben ist nicht nur ihr Farbton, sondern ihre Substanz. Bei genauerer Betrachtung der Bilder merken Sie, dass Farbe nicht flacher Farbauftrag ist, sondern Materie mit einer komplexen Struktur. Sie kann mit Sand, Steinchen, Glassplittern vermischt sein; Papierstreifen, Stofffetzen oder Wellpappe kann unterlegt sein.

So kann die Farbe wie in einem alchimistischen Vorgang ihre Beschaffenheit verändern, ja, Farbe kann tatsächlich zu Gold werden, wenn man darunter die edle Wirkung versteht, die viele Werke Solzins allein aufgrund ihrer materiellen Substanz ausstrahlen. Wenn Sie ... mit den Augen die Oberflächen der Gemälde abtasten, dann spüren Sie sofort, welche große Rolle die Struktur, das Relief der Farbfläche ausmacht: es macht die Bildfläche lebendig. Lebendig nicht bloß in der Bedeutung von lebhaft, bewegt, sondern von organisch. Organisch in dem Sinn, dass die sichtbare Oberfläche, also die Haut , nicht alles ist, sondern dass das eigentlich Lebensnotwendige darunter liegt, nämlich Muskeln, Knochen, Sehnen, Adern – wir sehen diese zwar nicht, aber sie lassen doch die Oberfläche pulsieren, atmen - und genau das ist der Unterschied zu einem leblosen flachen Farbfeld. Und tatsächlich gibt es viel „Darunter“ in den Gemälden Solzins, nicht nur weil sie – um die Farbwirkung zu steigern - verschiedene Materialien unterlegt hat. In diesem „Darunter“ kann sich die Biografie, die Lebensgeschichte des Gemäldes verbergen. Denn manche Bilder haben viele Phasen durchlebt, bevor sie ihre endgültige Gestalt fanden. Sie sind allmählich gewachsen, nicht nur auf der Fläche, sondern auch aus der Tiefe, bestehen aus Schichten, aus Ablagerungen, auch Abkratzungen, die zwar am Ende teilweise überdeckt wurden, aber dennoch auf der Oberfläche zu erahnen sind. Sie verleihen dem Werk Tiefe.

Doch kehren wir aus der Tiefe zurück zur Fläche. Wir haben also bemerkt, dass die Farbe in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auftreten kann. Wer Veronica Solzin schon länger kennt, weiß, dass sie bereits mehrere Farben durchgespielt, auf ihre Möglichkeiten abgeklopft hat. ... Zwei große Bilder „Fuego I“ und „Fuego II“ aus einer Phase, in der sie das Gelb vielen Wandlungen unterzog, ..., veranschaulichen dies. Sie hat dem Gelb ein Grau, einen eigentlich ziemlich langweiligen Komparsen zur Seite gestellt, aber er scheint die Leuchtkraft des Gelb so zu steigern, dass wir glauben, im Raum sei ein Licht angeschaltet worden. Auch mit Blau hat sie schon viel durchgemacht: Es gibt Bilder, wie „Atem des Meeres I und II“, in welchen das Blau als dichte, schwere, aber auch funkelnde Substanz auftritt, die den Raum über kargem, rauem Boden füllt. Man denkt an kalte, nördliche Landschaften. Auf einem Gemälde wird das Blau zur schimmernden, transparenten Folie, zur Spiegelfläche für die Felsenschlösser – ein Motiv, das eindeutig im Süden verortet ist.

Oder: Das querrechteckige Gemälde „Am Quai“ wird durch Rot und Orange bestimmt und erinnert deshalb an Herbstblätter. Doch auf dem Großteil des Bildes halten sich die Farben zurück, es sind gedeckte Töne – grau, blassblau, beige, die aber doch kleine Spuren von Gelb und Rot zwischen sich versteckt haben, die dann für den Zusammenhalt des Farborchesters ausreichen. Erwähnenswert auch, dass die Farben sich ja nicht einfach bis zum Bildrand ausdehnen, sondern als klar begrenzte Körper vor hellerem Hintergrund liegen. Das bedeutet: Auch wenn Solzins Bilder nicht gegenständlich sind, in dem Sinn, dass sie bekannte Dinge oder Geschichten abbilden würden, so gibt es doch Körper, Farbkörper, die mal mehr mal weniger den Dingen in der Natur ähneln. Die Raffinesse der Farben in Solzins Werken zeigt sich überraschenderweise auch dann, wenn kaum Farbe da ist, wenn sich die Buntfarbe fast ganz zurückgezogen hat. War schon bei dem vorhin erwähnten Bild in herbstlichen Farben ... der Anteil an bunten Farben relativ gering, so erst recht bei „Brione“, das fast als monochrom oder als Grisaille bezeichnet werden kann. Wir sehen die feinen Nuancen, den subtilen Wandel des gedeckten Tons, die immer wieder auftauchende zarte Struktur, dünne, nervöse Linien – alles Elemente, die einen schwebenden, gewichtslosen Eindruck vermitteln könnten. Aber dann sind da auch Schatten und harte Kanten, die unversehens die schwindend geringe Farbmaterie in monumentale schwere Steinblöcke verwandeln.

Während die pigmentarme Farbe das Bild leicht macht, wird es durch die blockhaften Formen schwer. Und dann, plötzlich, unerwartet, frech: in einer höhlenartigen Vertiefung: zwei leuchtend blaue Pfützen. Wenn Sie die Werke Solzins genau betrachten, dann werden sie öfters solche Kuckuckseier finden, die sich in das Gesamtgefüge eingenistet haben, und es wie mit einer Prise Salz würzen und abrunden.

Oder: Im Erdgeschoss gibt es Bilder, wo sich glühend rote Farbe auf eine obere, verhältnismäßig kleine Fläche zurückzieht, der Nichtfarbe Grau oder - sehr herab gedimmtem - Blau den größten Platz einräumt und ausgerechnet dem Schwarz den oberen Rand überlässt. Obwohl wenig Handfestes an Buntfarbe da ist, obwohl wir Leere assoziieren, ist nichts leer im Sinne von nichts vorhanden, sondern es existiert eine unglaubliche Spannung, die das scheinbar wenige umso mächtiger in Szene setzt.

Doch blicken wir nochmal aufs große Ganze! Bilder betrachten ist das Eine, Bilder erschaffen das Andere. Auch wenn wir Laien uns aufs genießende Betrachten zurücklehnen können – was allerdings nichts Passives ist! Auch das beste Bild lebt erst durch den Betrachter – also - auch wenn wir Laien nicht künstlerisch tätig sind, so interessiert es uns doch: was leitet den Künstler, wie fällt er diese oder jene Entscheidung für Farben, wie findet er seine Formen.

Grundsätzlich gilt: Kunst entsteht nie voraussetzungslos. Auch wenn ein Künstler sich nicht an der Realität, an der sichtbaren Welt orientiert, also auch wenn er/sie ungegenständlich malt, so orientiert er sich doch an Bildern, an inneren Bildern, die vielleicht nur eine Ahnung von Etwas sind, das sich tief im Innern im Laufe der Zeit abgelagert hat. Der Künstler/die Künstlerin muss aus einem Fundus schöpfen können, der sich aus Erlebtem gefüllt hat.

Diese abgespeicherten Eindrücke werden dann irgendwann in Bildgestalt hervortreten. Das ist kein bewusster Prozess. Und sogar wenn der erste Pinselstrich gesetzt ist, weiß die Künstlerin noch lange nicht, wie das endgültige Bild aussehen wird. Es ist vielmehr der Anfang einer abenteuerlichen Reise, ohne exakte Fahrtroute. Die Künstlerin muss an jeder Wegkreuzung eine Entscheidung fällen und kann immer auch in Sackgassen landen, aus denen sie wieder herausfinden muss. Aber Gottlob hat sie ihren inneren Kompass. Sie weiß zwar nicht, wie der Zielort ihrer Reise genau aussehen wird, sie weiß nicht genau, wo sie landen wird, aber sie weiß, wann sie angekommen ist, wann sie am Ziel ist, wann das Bild fertig ist, wann das, was sie irgendwie geahnt hat und viel zu komplex ist, als dass man es in Worte fassen könnte, wann das schließlich Gestalt angenommen hat.

Insofern verkörpern die Werke dieser Ausstellung jeweils die glückliche Ankunft einer langen Reise. Und sie ermöglichen auch uns Laien, uns auf den Weg zu machen, in doppelter Weise: einmal durch die drei Stockwerke der Ausstellung, aber dann auch mit den Augen auf den Bildern selbst: Und auch das wird eine abenteuerliche Reise sein.

natur_nah 2021

Petra Brüning, Kulturamtsleiterin bis 2014

Es sind Landschaften, archaische Architekturen und die Weite des Meeres, die Veronica Solzin inspiriert und ihre Imagination beflügelt haben. Ihr künstlerisches Schaffen beginnt mit dem Sehen, mit dem Aufspüren von Formen, Strukturen und Farben. Auf ihren Reisen gewinnt sie Landschaftseindrücke, die sie aber nicht – wie beispielsweise die Impressionisten – vor Ort auf die Leinwand bringt. Die Landschaften hinterlassen bei der Künstlerin innere Bilder, und es sind diese inneren Bilder, aus denen in ihrem Atelier imaginäre Landschaften entstehen, die nur noch in ihren Grundstrukturen an das konkret Gesehene erinnern. Deshalb ist der Übergang zu ihren abstrakten Arbeiten auch ein Fließender. Es ist diese imaginäre, geistige Ebene, auf der die Künstlerin Landschaften und Naturerlebnisse nahebringt, die ihre Arbeiten so bewegend und berührend machen. Die Künstlerin öffnet den Blick über die konkrete Welt hinaus.

Der Prozess von der Bildidee bis zum fertigen Bild ist lang. Veronica Solzin setzt nicht nur Acrylfarbe und Farbpigmente ein, sie arbeitet auch mit Erde, Sand, Marmorstaub, mit Asche und Collagematerial wie Seiden­papier oder Wellpappe. Die Materialien machen die Bildoberfläche lebendig. Als würden Kräfte, die dem Bild innewohnen, nach außen drängen. Veronica Solzin trägt auf, fügt hinzu, übermalt, schabt Über­schüssiges ab, entfernt hier Spuren von Rot, entscheidet sich dort für einen Hauch Türkis, wobei die Entscheidung über das Format der Leinwand die Arena für ihre Auseinandersetzung vorgibt. Der Prozess des Gestaltens oszilliert zwischen bewussten Entscheidungen und großzügigem Experimentieren.

Veronica Solzin ist fasziniert von dem riesigen Farbvorrat, den die Natur vorhält; Farben, die ihr hier und auf ihren Reisen begegnen; die sie als Farbeindrücke auf der Leinwand umsetzt. Immer wieder arbeitet sie mit Pigmenten, die sie von ihren Reisen mitbringt. Wenn Veronica Solzin begeistert erzählt: „Dieses Blau habe ich in Marokko gefunden.“, dann klingt es so, als spräche sie von einem Freund. Und in der Tat ist die Künstlerin durch eine tiefe Freundschaft mit den Farben verbunden. Mit den warmen Rot-, Gelb- und Brauntönen, die sie vor allem im südlichen Afrika und in Marokko angetroffen hat. Und ihrem schier unerschöpflichen Vorrat von hell-kühlen bis kräftig strahlenden Blautönen, Himmel und Wasser in einem.

Auf fast allen Arbeiten lassen sich feine Linien identifizieren. Linien, die die Künstlerin mal mit Tusche oder Kreidestiften, mit Kohle oder mit Bleistift einfügt und die sich auf vielen Bildern wie eine ferne, transpa­rente Architektur ausmachen. Denkbar wäre, dass die Künstlerin mit den Linien ihren Farbflächen einen Rahmen gibt, aber gerade das tut sie nicht. Manchmal scheinen die Linien wie zufällig an den Farbflächen entlang zu spazieren, aber dann führen sie wieder ein geradezu dreistes Eigenleben und entwickeln sich zu einem eigenständigen Kosmos.

Wenn wir das Bild Glut aus der Ferne betrachten, dann erleben wir Farbflächen, die miteinander kommunizieren und Stimmungen transportieren. Wie eine Insel schwimmen die warmen Rot- und Brauntöne in dem kühlen, zarten Blau. Eine weiße Dunstwolke scheint das Aschefeld langsam und stetig zu vereinnahmen, ebenso wie die brennend rote Glut sich mit dem Himmel zu verbinden scheint. Dieser Eindruck entsteht durch die diffusen Überlappungen der Farbflächen. Die Malerei von Veronica Solzin ist das Gegenteil einer schablonen­haften, geometrischen Malform mit harten Kanten. Die Farbflächen überlagern sich bei ihr nicht nur, sie durchdringen sich. Und erst aus der Nähe werden die Oberflächenstrukturen, die ausdifferenzierten Texturen des Bildes wahrnehmbar.

Immer wieder gerinnen die Linien zu rätselhaften Chiffren, die das Bild Skriptum explizit und unübersehbar thematisiert. Wir sehen die hand­schriftlichen Zeichen wie durch ein Fenster, das den Blick fokussiert. Auch hier arbeitet die Malerin mit vielen Farbnuancen und gibt der Oberfläche durch das Hinzufügen von Sand und die Einarbeitung von handgeschöpftem Papier Struktur. Die Bilder von Veronica Solzin wollen aus der Ferne u n d aus der Nähe betrachtet werden.

Auf ihrer Webseite schreibt die Künstlerin: „Durch Farbe, Form und Material versuche ich alle Bildteile miteinander zu vernetzen und den Bildkörper als atmenden Organismus erscheinen zu lassen“. Diesen atmenden Organismus finden wir auf dem Bild Atem des Meeres. Da begegnen uns zwei Formen in kräftigen, leuchtenden Blautönen, wie zwei ungleiche Felsen, die sich aus einem hellen Gewässer erheben. Es ist das Weiß, das Helle, das Veronica Solzin einsetzt und so das Blau zum Strahlen bringt. Umbra, Ocker und ein bisschen Rot schmiegen sich auf das Blau und schaffen Spannung und Volumen. Nicht nur das Meer, das Bild atmet. Wir erleben ein fragiles Gleichgewicht zwischen fast be­ängstigenden Kräften und einer großen Ruhe. Nicht nur auf diesem Bild.

Der Philosoph Gernot Böhme spricht in Bezug auf ästhetische Erfah- rungen von einem „leiblichen Spüren“. Die Malerei von Veronica Solzin schafft Atmosphären, die über den Bildraum hinausgehen und die tatsächlich „leiblich“ zu spüren sind. Diese Bilder von großer Tiefe lassen uns erfahren, wie man Landschaften empfinden kann.

Anlegen – Ablegen 2018

Dr. Martina Kitzing-Bretz, Kunsthistorikerin

Erwandert der Betrachter mit seinen Augen die gemalten Bilder von Veronica Solzin, kann er in den Kompositionen optisch immer wieder anlegen. Die Künstlerin bietet ihm die Möglichkeit, seinen Blick in ihrer Malerei zu verankern.

Und das, obwohl sich ihre Bilder der freien Figuration zuordnen lassen, einer Stilrichtung der modernen Kunst, die zwar von der Figur ausgeht, sie aber abstrahierend und assoziativ behandelt. In der Malerei von Veronica Solzin durchdringen sich Gegenständliches und Abstraktes.

Anlegestellen bieten ihre Gemälde durch den expressiven Einsatz von Farbe. Warme Farbtöne in ihren Bildern lassen den Betrachter emotional ankommen, Farben wie ein ins Gelbfarbige oder Orangerote reichende Kadmiumrot sprechen sein Herz und seine Sinne an. Gebannt schaut er auf die Bilder. Sein Blick wandert in den Kompositionen weiter zu Ocker, dessen fleckiger Farbauftrag gern in die roten Flächen eindringt. Der erdige Farbton verbindet sich mit Rot zu einer lebendigen, warmglühenden Farbatmosphäre.

In einem Bild der Reihe „Anlegen – Ablegen“ bleibt das Auge des Betrachters haften an zwei menschlichen, schemenhaften Figuren. Sie setzen sich mit ihren schwarzen Silhouetten von dem farbigen Hintergrund ab. Gleichzeitig sind die Gestalten mit dem rötlichen und ockergelben Farbgrund des Bildes verwoben: Rot dringt in ihre Umrisse ein, legt sich in Form eines langen, roten Gewandes mit Mütze auf die größere Figur.

Das betrachtete Gemälde lässt der Assoziation freien Lauf und legt den Betrachter nicht auf einen konkreten Inhalt fest. Die Malerei setzt Gedankliches frei, ohne dass sie sich auf einen konkreten Inhalt festlegen ließe. Doch die Figuren erinnern in ihrer angedeuteten Tracht und ihren hochgewachsenen, grazilen Körpern an fremde Länder und Kontinente.

Afrika mit seinen schlanken, beweglichen Menschen und seiner roten Erde ist ein solcher Kontinent, an dem die Gedanken des Betrachters anlegen, um im nächsten Moment wieder abzulegen und weiter zu schweifen.

Seit 2010, erzählt die Künstlerin, bereist sie den afrikanischen Kontinent, hat sie Länder wie Südafrika oder Namibia besucht. Sie kennt die Wärme und die Glut Afrikas, die sie in ihren Bildern mit Farben und Farbkontrasten zum Ausdruck bringt.

Zum Beispiel in dem Bild „Erdfeuer“, das auch Teil der Bilderreihe „Anlegen – Ablegen“ ist. Sie setzt in der Komposition Asche und Lampenruß ein, um die Leuchtkraft des Helios-Rot oder des Orange im Kontrast zu Schwarz zu steigern.

Im Vordergrund der Bildkomposition erhebt sich die schwarze Folie einer Menschenfigur. Vielleicht, so der Gedanke des Betrachters, sucht der Mensch einen Weg abzulegen und dem Feuer zu entkommen.

Die schwarze, oftmals gegen Weiß gesetzte Farbigkeit im Werk der Künstlerin begegnet auch in Lineaturen, die sich durch die Farbflächen ihrer Kompositionen ziehen, und die sie mit Kohle oder Kreide aufträgt. Mit ihrem grafischen Charakter sorgen die mal zart, mal kräftig gezogenen Linien für einen spannenden Gegensatz zu den malerischen Flächen.

Die Liniaturen zeigen ihre Handschrift und verraten wie ein Seismograph, der die geologische Spannung misst, die Stimmung der Künstlerin beim Schaffensprozess.

Es sind die formalen Gegensätze wie linear und flächig, die sich in den Bildern von Veronica Solzin gleichzeitig abstoßen und anziehen, und damit für eine temperamentvolle Malerei sorgen. Zu den Kontrasten von Farbe, Fläche und Linie tritt der Gegensatz von glatten und rauen Bildoberflächen:

Einerseits nimmt sie mit ihrer auf dem Boden liegenden Leinwand wässrige Farbschüttungen vor, andererseits fügt sie den Acrylfarben Strukturadditive und Collageelemente zu: Beigemengte Materialien wie Sand, Marmormehl, aber auch Eincollagiertes wie handgeschöpfte Papiere und Wellpappe führen zu körnigen, faltigen oder geriefelten Strukturen der Oberfläche ihrer Gemälde.

Die strukturierte Bildoberfläche lässt den Betrachter erneut anlegen. Sein Blick bleibt regelrecht haften an dem Relief des Bildes, es bietet seinen Augen eine Haptik oder Greifbarkeit, die ihn zur optischen Wanderung einlädt. Die stoffliche Oberfläche der Malerei löst bei ihm die Assoziation von Landschaft aus, in der er herumspaziert.

Er setzt die unregelmäßigen Formen der Bildoberfläche in Bezug zu Organischem wie Gestein, Erde, Meer, Himmel und Wolken. Dazu kommen Farben wie Ultramarinblau, Ockergelb und Sienabraun, die den Landschaftsbezug herstellen.

Tatsächlich ist es „Das intuitive Erfahren der Natur“, wie Veronica Solzin es ausdrückt, das in ihren Bildern Gestalt annimmt. Und sie sagt weiter: „Archaische Orte, Felsenstädte, die ich beim Unterwegs sein, vor allem in südlichen Regionen, entdecke, inspirieren mich in meinem bildnerischen Tun.“

Auf Felsen oder Hügeln oberhalb der Küste des Tyrrhenischen Meeres liegende Städte in Italien wie Sperlonga oder Gaeta regen die Malerin zu Gemälden an. Kubische Bauten reihen sich in ihren Kompositionen nebeneinander oder fügen sich in der Höhe gestaffelt zu einem Bild mediterraner Architektur.

Die Künstlerin hat die Architektur der Küstenlandschaften mit pastos und strukturiert aufgetragener, weißer Farbigkeit dargestellt, die an den Mauerputz von Gebäuden erinnert. Oberhalb des von Grau- und Brauntönen durchdrungenen Weiß der Häuser fügt sich ein Streifen blaugrauer Himmel an. Er spiegelt sich auf der Meeresoberfläche als Zone am unteren Bildrand.

Die Farben des Himmels und des Meeres überlappen die weißlichen Flächen, und die einzelnen Bildzonen der Gesamtkompositionen sind miteinander verzahnt.

„Durch Farbe, Form und Material versuche ich alle Bildteile miteinander zu vernetzen und den Bildkörper als atmenden Organismus erscheinen zu lassen“, formuliert Veronica Solzin das Gestaltungsprinzip ihrer Bilder aus.

Das Rüstzeug für ihre Malerei hat die 1956 in Albstadt geborene Künstlerin in Seminaren an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart erhalten. Dort besuchte sie von 1974 bis 1976 die Klasse für künstlerische Grundlehre, die Professor Hugo Peters unterrichtete.

In Malkursen an der Akademie der Künste in Schwäbisch Hall und an der Kunstakademie Bad Reichenhall bei den Malern und Grafikern Peter Tomschiczek und Professor Jo Bukowski hat sie sich ab 1990 weitergebildet.

Seit 1992 arbeitet sie freischaffend in ihrem Atelier im Raum für Kunst und Begegnung in der Gelbinger Gasse mitten in der malerischen Altstadt von Schwäbisch Hall.

Hier entstehen Bilder der Reihe „Atem des Meeres“, in denen Veronica Solzin die Meereslandschaft als reine Natur thematisiert. Felsen türmen sich in dem Bild „Atem des Meeres III“ zuseiten einer Meeresenge auf und bieten eine beeindruckende Naturkulisse. Zugleich – rein formal gesehen – begegnen sich in der Komposition eine große und kleine Umrissform und dazwischen öffnet sich der Bildraum zu einer unbestimmten Ferne.

Doch das eigentliche Thema des Bildes ist die Farbe: Kräftige Blautöne, die sich aus verschiedenen Pigmenten von Blau zusammensetzen, bestimmen den Ausdruck des Gemäldes. Aus dem marokkanischen Ort Essaouira an der Küste vom Atlantischen Ozean hat sie sich blaue Farbpigmente mitgebracht, die in ihren Bildern für Intensität und Leuchtkraft der Farbe sorgen.

Gegen das Blau und Schwarz der Felsklippen setzt sie ein Weiß, das sich auf das Wasser des Meeres gelegt hat und das sich in den Weißtönen des Himmels wiederholt. Als abstrakte Farbfläche ergießt es sich in das Bild und erzeugt dennoch den Eindruck einer dunstigen oder nebligen Atmosphäre in der Landschaft.

„Bilder sind sichtbar gewordene Gedanken“, sagt Veronica Solzin über ihre Kunst. In der Bildreihe „Spazio Blu“ nehmen sie eine zeichenhafte Gestalt an:

Auf die Leinwände in stelenartigen Hochformaten hat sie mit Pigmenten versetzte Farbfelder in strahlendem Blau gemalt. Die blaue Fläche der Reihe bildet eine T-oder Kreuzform, deren Ränder ausgefranst sind und die von den benachbarten Farbflächen in Weiß überlappt wird. Nebulös und geheimnisvoll schält sich die Farbform in Blau aus der Schichtenmalerei heraus.

Eine verdichtete Farbwolke in Schwarz, die sich in Farbrinnsalen auflöst, hat sich auf die Kreuzform gelegt und erlaubt Konnotationen zur Passion Christi. Doch die Malerei von Veronica Solzin bleibt offen, spricht keine eindeutig christliche Bildsprache. Sie eröffnet dem Betrachter einen spirituellen Raum, in dem er mit seiner gedanklichen Freiheit an- und ablegen kann.

Farbe und Feuer 2013

Dr. Tobias Wall, Kunsthistoriker (Auszüge)

Veronica Solzin leitet ihre Werke von gegenständlichen Motiven ab, ohne sie abzubilden. Gegenstände oder auch Vorstellungen von Gegenständen sind nur der erste Anlass für ein Bild, das sich im Schaffensprozess sehr weit vom Gegenstand entfernen kann. Es können Bilder entstehen, die geradezu informell wirken. (...)

Es ist eine intensive aufgeladene Stimmung in den Bildern von Veronica Solzin, bedeutungsvoll, geheimnisvoll. Das mag an den gegenständlichen Ahnungen in ihren Bildern liegen, den fremdartigen Architekturen, Formen und Chiffren, deren Bedeutung sie selten auflöst. (...)

Häufig arbeitet sie auf Papieren mit unbekannten Schriften, die sie in den Bildern weiterführt. Ihre Stimmung verdanken die Bilder auch ihrem Farbklang, einer Kombination von gedeckten erdig warmen Tönen mit eisigem Blau oder gleißendem Weiß. (...) und immer wieder dieses klare reine Rot, das häufig ein warmes Leuchten ist.

Durch oft weich auslaufende Ränder scheinen die Bildelemente, als würden sie sich aneinander schmiegen, als fügten sie sich wie von selbst. Auf einigen Werken kann man grafische Eingriffe entdecken, schwarze Linien, Abgrenzungen, vielleicht auch Verbindungen, manchmal Brüche, Risse.

Zeichen_Orte 2011

Claudia Scheller-Schach, Kunsthistorikerin

Veronica Solzin bereichert seit über 20 Jahren die Kunstszene in und um Schwäbisch Hall: hier und über die Region hinaus war sie in zahlreichen Ausstellungen der ansässigen Kunstvereine und Künstlergesellschaften, denen sie angehört, immer wieder mit ihrer Malerei präsent.

In den aktuellen Ausstellungen zeigt die Künstlerin Werke aus den letzten 5 Jahren, die meisten sind jedoch ganz neu – stammen aus diesem Jahr, wie zum Beispiel „Akamba“, das sie von der Einladungskarte kennen und „Ankunft“, hier rechts von ihnen in der Mauernische.

Intensive Farben und Kontraste bestimmen den ersten Eindruck der Ausstellung: hier ein zugleich leuchtendes und tiefgründiges Blau kombiniert mit einer starken warm-braunen Formation und hellen Flächen.

Bei „Akamba“ (oben im Wintergarten) dominieren Rot und Schwarz, in großen Flächen gegeneinander gesetzt, begleitet von weißen Partien. Der erste „oberflächliche“ Eindruck fächert sich aber sofort auf, denn die vielfältigen Schichtungen von Farbe, die Bandbreite an Materialien und der Einsatz auch grafischer Mittel in den Gemälden üben eine richtige Sogkraft aus.

Man begibt sich auf Spurensuche und entdeckt die materielle Seite: Indem die Künstlerin neben der Acrylfabe Sand und Erde, Marmormehl und verschiedene Bindemittel verwendet, entstehen interessante Texturen. Sie experimentiert mit Pigmenten und bindenden Substanzen, die dann ihre Spuren hinterlassen und den kreativen Prozess auch ahnen lassen… denn zufällig entstandenes wird mal als Bildmittel einbezogen und dient als Impuls für den weiteren schöpferischen Prozess; mal werden Spuren auch übermalt und so getilgt. Ein besonderes Gewicht haben aber auch Eingriffe in die so entstandenen Schichtungen: Flächen werden wieder abgeschabt, Partien freigelegt. Linien, andere grafische Kürzel künden von spitzen Instrumenten, mit denen Solzin in das Material hinein kratzt, mitunter „schreibt“, denn wir können auch Schriftzeichen erkennen. Tusche, Kohle, Kreide verwendet sie für die lebendigen Lineaturen.

Textfragmente und Buchstaben kommen auch durch collagierte, also in die Malfläche geklebte Papiere ins Spiel. Als Sinnträger, Vermittler von Informationen fungieren sie aber nicht – es ist auch hier wieder die Struktur, das Zeichenhafte von dem sich die Künstlerin anregen lässt. Das Material dient der Künstlerin als Anregung – Max Ernst, ein herausragender Künstler des Surrealismus, der sich intensiv mit neuen Strategien der Bildfindung beschäftigt hat, hat diese sogar als „Erregung“ charakterisiert, die umgelenkt wird in Kreativität.

Bei Veronica Solzin funktioniert diese Anregung aber nicht nur über die äußere Erscheinung der Materialien, sondern auch über die Ahnung einer Geschichte, die den Dingen innewohnt; deshalb verwendet sie auch gerne Textilien: grobe und feine Gewebe, denen der Charakter des einmal Nützlichen, jetzt abgelegten innewohnt. In den Bildgeweben kommt ihnen eine neue Funktion zu, sie bleiben aber Relikte der Vergangenheit.

Starke Impulse für die formale Gestaltung der Bildfläche empfängt die Künstlerin auch vom Bildformat. So entdecken wir in der Ausstellung mal die gängige Umsetzung des Quer-rechteckigen in einer Landschaft zum Beispiel bei „Anlegen/Ablegen“: Helle horizontale Zonen unten und oben definieren Vordergrund mit Gewässer und Hintergrund mit Himmel, dazwischen erdige Farben und Steinfarben für Hügelkette und Hohenzüge, neblige, dunstige Partien verschleiern diese, transparente Partien mit verlaufender Farbe greifen noch einmal das Element Wasser auf; lässt man sich auf diese Sichtweise ein, wird die Frage nach geografischen bestimmbaren Örtlichkeit zweitrangig.

Daneben gibt es im Werk von Veronica Solzin auch die „sperrigen“ Formate: legt sie zum Beispiel in einem Quadrat einen hohen oder tiefen Horizont an, lesen wir unweigerlich das als Hinweis auf eine Landschaft – aber das Format „passt“ nicht zu unserer Wahrnehmungsgewohnheit und daran reibt sich dann auch die Künstlerin. Diese Herausforderung nimmt sie an – sie formulierte es bei unserer Besprechung so: „Das Bild will erst etwas anderes – dem stelle ich mich entgegen.“ Ausgehend vom Format und von anderen „Setzungen“, einer Linie, einer Form, einer Farbe nimmt sie die Spannung auf und leitet sie um, gleicht aus… bis ein stimmiges Ganzes entstanden ist. Dabei weitet sich das traditionelle Motiv Landschaft aus: die Bildstruktur und Farbigkeit kann dann auch Anklänge an geologische Phänomene, Felsstrukturen und elementare Kräfte vermitteln. Etliche Bildtitel unterstreichen diesen Eindruck, wir finden unter anderem Bezeichnungen wie „Lichtwärts“ und „Erdfeuer“.

Die Herausforderung durch ein extremes Format klingt auch in der Serie der schmalen hoch-rechteckigen Bilder an. Dynamische Formen oder auch zu regelrechten Massiven gebaute Flächen, die das Erscheinungsbild der großen Bilder von Solzin ausmachen, sind hier nicht zu finden: stattdessen fügt sie dem stelenartigen Charakter gemäß einzelne rechteckige Formen ein. Als Serie – die Bilder sind in Dreier- bzw. Vierblöcken gehängt – fasziniert die Korrespondenz untereinander, aber auch die jeweils eigenständige Bildlösung. So schmal die Formate auch sind, die Bandbreite der Assoziationen reicht von Körpern und Torsi über Turmarchitektur und Wandstrukturen bis hin zu alten Schriftrollen. An dieser Stelle noch ein Wort über die weißen Flächen: das sind im Werk von Veronica Solzin keine zurückhaltenden „Leerstellen“, sonder das Helle behauptet sich neben den kräftigen Farben absolut gleichberechtigt. Gerade hier bietet sich das Strukturieren an: optisch wirkt das Weiß wie eine Putzschicht oder ein archivalisches Papier.

Überhaupt sind „leere“ Flächen, dunkle Zonen, in denen gerade noch Spuren von Figuren oder Zeichen zu erkennen sind, die Partien im Bild die die spannenden „inneren“ Geschichten anklingen lassen: bei „Godot“, beispielsweise, einer Serie von kleinen Querformaten, die das Szenische, Bühnenhafte des Theaterstücks aufgreift, sind auch menschliche Gestalten auszumachen – in Gruppen stehen sie dem Dunkel gegenüber, helle und glühende Farbpartien vermitteln noch Wärme und Lebendigkeit. So äußern sich existenzielle Befindlichkeiten, wie Angst und Hoffen, Ahnungen, die gar nicht ausgesprochen werden können.

„Zeichen_Orte“ - der Ausstellungstitel führt uns in diesem Sinne ja auch das ambivalente Interesse der Künstlerin vor Augen: Relikte und Strukturen und Zeichen sind in ihrer formalen Erscheinungsweise zwar abstrakt. Über die Bildgestaltung, die Einbindung in das künstlerische System werden sie dann verortet.

Beides, die Wahl ihrer Mittel – Material und Technik, es zu verarbeiten, einerseits und andererseits die Bildsprache, die sie daraus entwickelt, führen zu der ganz starken Energie, die der Kunst von Veronica Solzin innewohnt. Als Betrachter können wir zwar keine „Übersetzung“ für diese Sprache finden, aber man kann einen Klang wahrnehmen und Energie aus den Werken ziehen.

Wer die Künstlerin kennt, empfindet in der Begegnung mit ihren Bildern auch eine starke Synthese zwischen ihrer Person und ihrem künstlerischen Schaffen: sie ist ein Mensch mit Tiefgang, sie nimmt ihr Gegenüber ernst; gepaart mit ihrer ehrlichen Freundlichkeit macht sie das so sympathisch. So weisen auch ihre Bilder über den optischen Reiz hinaus auf ein Ringen um Antworten, die tiefere Schichten betreffen.

Um das schwierige Wort „Authentizität“ komme ich angesichts der Übereinstimmung des Enstehungsprozesses, der Wirkung ihrer Kunst und ihrer Person nicht herum. Schöner und passender ist aber als Schlusswort die Aussage der Künstlerin selbst. In der Einladungskarte ist zu lesen: „Mit der Malerei dem Geheimnis näher kommen, es aber nicht enträtseln“. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen anregenden Abend mit Veronica Solzin und „Zeichen_Orte“.

Sichtbar 2008

Ursula Angelmaier, Kunsthistorikerin (Auszüge)

Die Begegnung von Kunstwerken unterschiedlicher Epochen wirkt immer inspirierend – wird uns dadurch doch bewusst, wie sich die Zeiten ändern, wie Anschauungen und Ausdrucksmittel dem Wandel unterworfen sind. Gerade in Kirchen ist dieser Wandel gut nachvollziehbar, denn oftmals finden sich dort dieselben Themen aus verschiedenen Epochen, wie z.B. die Kreuzigung. Ein romanisches Kruzifix wirkt erhaben, triumphierend über alles Leid, ein Gekreuzigter der Spätgotik dagegen erschütternd aufgrund der meist drastisch dargestellten Folterungsspuren. Der Gekreuzigte der Barockzeit wiederum ist selbst im Leid schön – so wie hier in der Stadtkirche unter dem Triumphbogen. Eher schonungslos wird Christus am Kreuz im 20. Jahrhundert dargestellt – so wie auf dem rechten Kirchenfenster – eine in die Fläche gespannte Gestalt, deren lang gedehnte Arme und übereinander gebogene Beine die Gewaltanwendung der Kreuzigung widerspiegeln - und dennoch ahnen wir ein mildes Lächeln auf dem Gesicht. So bestehen selbst über Jahrhunderte hinweg Verbindungen und Entsprechungen.

Für ein paar Wochen ist in der Cannstatter Stadtkirche eine weitere Begegnung möglich: die spätgotischen Mauern der Kirche tragen - ganz zeitgenössische Kunst - Gemälde von Veronica Solzin.

Es sind ungegenständliche Werke, die Wirkung und Ausdruck allein der Farbe und Form verdanken. (...) Die Formen nehmen wir oft als Gestalten wahr, stelenartig im Raum aufragend, aufsteigend, frei schwebend oder durch seitliche Riegel gehalten. Doch es handelt sich nicht einfach um Körper im Raum. Gestalt und Hintergrund sind keine Gegensätze, sondern vielfältig verbunden: so z.B. durch ein Liniengitter, das sich über die Bildfläche legt oder durch verschwommene Umrisse, die keine klare Trennung erlauben.

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Das Geheimnis ihrer Bilder liegt wohl vor allem im besonderen Umgang mit der Farbe begründet. Farbe, das ist nicht einfach die Farbe aus der Tube. Farbe ist eine ganz eigene Substanz, Materie mit einer komplexen Struktur, zusammengesetzt aus verschiedenen Elementen. Schon dass Solzin möglichst natürliche Pigmente verwendet, beweist, wie viel sie von der Farbe erwartet. Doch nicht von ihr allein. Sie vermischt sie mit Sand, Steinchen, legt Papierstreifen oder Wellpappe unter und unterzieht sie damit einer fast alchimistischen Verwandlung, gibt ihr überraschende, neue Eigenschaften. Man denkt an Steinmaserungen, zarte Tücher, tiefes Wasser, rostige Metallstücke, schrundige Rinden, sonnendurchschienene Nebel. Die Assoziation mit Materialstrukturen verleiht den Bildern eine besondere Lebendigkeit.

„Lebendig“ allerdings nicht bloß im landläufigen Sinn etwa von lebhaft, sondern eher von organisch. Organisch in dem Sinn, dass es nicht bloß die sichtbare Oberfläche, also die Haut gibt, sondern dass das eigentlich Lebensnotwendige darunter liegt, nämlich Muskeln, Knochen, Sehnen, Adern – wir sehen diese zwar nicht, aber sie lassen doch die Oberfläche pulsieren - und genau das ist der Unterschied zu einem leblosen Farbfeld. Diese komplexe Struktur unter der Haut bewirkt, dass wir ein Gemälde nicht nur als Bildfläche empfinden, sondern als Bildkörper. Dieser Bildkörper ist - wie jedes Lebewesen - gewachsen – im Laufe eines oft langen Schaffensprozess.

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Solzin erweist sich stets als souveräne Regisseurin. Sie hat die Akteure eines Bildes - ob Farben, Formen oder Linien - unter Kontrolle, lässt sie miteinander agieren, stellt Beziehungen über Entfernungen hinweg her, spielt mit Gegensätzen und Gleichgewichten.

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Wir spüren Spirituelles, obwohl wir nur Farbe und Form analysiert haben. Doch ein Kunstwerk hat grundsätzlich spirituelle Züge. Ein Kunstwerk ist mehr als die Summe seiner Teile, ist ein eigenes Wesen. Es muss den Funken Leben besitzen, um eine wirkliche Schöpfung zu sein.

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Indem Solzin ihren Farbflächen ein Innenleben gibt, ihnen Leben einhaucht, Kräfte jenseits der Oberfläche in Gang setzt, überwindet sie die tote Materie, teilt ihr etwas Immaterielles mit. Das Schweben, Hängen, Flackern, das Öffnen von Räumen, Aufsteigen, Keimen oder Vergehen, all das, was wir in ihren Werken spüren, hat eine eigene Energie, die alles bloß Objekthafte hinter sich lässt und Tore zu Geistigem, ja Spirituellem öffnet.

Diese Qualität Solzin´scher Kunst kann in einem Kirchenraum umso stärker ins Bewusstsein treten.